Sag´ bescheid

Fortschrittsboykott

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich beschloss, nie so seltsam zu werden wie meine Eltern. Ich war unwissende acht Jahre alt und mein Vater war gerade unglücklicher Besitzer eines Handys geworden. Es war sein erstes und er hatte es von der Arbeit bekommen. Vollkommen überflüssigerweise, wie er fand. Ungelenk drückte er auf den Tasten herum, beschwerte sich, dass sie zu klein für seine Finger seien und war schon damit überfordert, jemanden anzurufen. Ich hingegen stand aufgeregt zappelnd neben ihm und war der Meinung, dass es auf der Welt nichts Spannenderes geben könnte, als dieses silbern glänzende Kommunikationswunder. Heimlich verstellte ich Klingeltöne und träumte davon, wie herrlich das Leben wäre, wenn auch ich ein Handy besäße. Dass niemand meiner Freunde eines hatte und die Sache mit dem Sms schreiben von daher sowieso ziemlich witzlos gewesen wäre, störte mich nicht im geringsten.

Jeder, der mich kennt, wird wissen: Von meinem Vorsatz ist nicht viel übrig geblieben – ich und technische Neuheiten haben nicht unbedingt das engste Verhältnis zueinander. Schon als die Handys anfingen, bunte Displays und Fotokameras zu bekommen, hinkte ich irgendwie hinterher. Seit Smartphones, HD-Technologie und E-Books ist es vollkommen vorbei. Ich stecke mitten im selbsterklärten Fortschrittsboykott.

Um ein kurzes Bild davon zu geben: Mein Handy hat noch Tasten. Mein MP3- Player übrigens auch. Beide haben ein beachtliches Alter auf dem Buckel und werden des Öfteren mal mitleidig belächelt. Ist mir egal – ich finde Touchscreen überbewertet. Ich lese noch ganz normale Bücher. Ich mache Eselsohren, breche den Buchrücken und kritzele Kommentare, wo mir etwas ganz besonders gut gefällt. Meine Zeitschriften kommen noch ganz unvirtuell aus dem Kiosk und werden von mir andächtig durchblättert und manchmal auch verbastelt. Ich gucke weder in HD, noch in 3D – mir reichen meine guten alten DVDs. In ganz dunklen Momenten lausche ich sogar noch andächtig meinen Kassetten und wickele das Band stundenlang wieder auf, wenn der Rekorder es mal wieder „gefressen“ hat.

Ich muss sagen: Es lebt sich ganz gut so. Das einzige, was mich ein wenig beunruhigt ist der Blick in die Zukunft: Wenn ich jetzt schon dem Puls der Zeit hinterherhinke,  wie altbacken werde ich bloß in 20 Jahren sein? Wer weiß, was sich unsere erfindungsfreudigen Zeitgenossen bis dahin noch alles ausgedacht haben! In pessimistischen Momenten sehe ich mich schon einsam mit meinem Papierhaufen in einer komplett digitalisierten Welt dastehen. Hilflos und von der Zeit abgehängt. Zum Glück verfliegen negative Zukunftsutopien bei mir immer relativ schnell – ich habe da noch einen Hoffnungsschimmer: Meine Eltern höchstpersönlich. Die haben es in den letzten 10 Jahren ganz gut geschafft, sich dem Puls der Zeit wieder anzunähern: Papa tippt heiter auf einem Blackberry herum und postet Urlaubsfotos auf Facebook. Mama ist notorische Onlineshopperin und schreibt fleißig E-Mails. Also: Vielleicht bin ich in 20 Jahren doch keine im Wald hausende Fortschrittverweigerin. Vielleicht bewahre ich mir nur eine gewisse Skepsis gegenüber teuren und der Tendenz nach sowieso bald wieder veralteten Dingen: Damit könnte ich ganz gut leben. Auch, wenn sich meine zukünftigen Kinder dann vornehmen, niemals so seltsam zu werden wie ich.


Lara, 19 Jahre
.
Sag´ bescheid

Hinterlasse doch Kommentare  |  3

  1. Kingsdaughter

    Stimme dir auch total zu! mich nervt das nonstopp-erreichbar-sein…alles unnötige was in facebook und twitter geteilt werden muss etc. hab FB im sommer endlich gelöscht und liebe es an den PC zu sitzen und zu merken, was mach ich da eigentlich? Fb gibts nicht mehr – jetzt mach ich was gescheites. Und diejenigen die mir wirklich wichtig sind werden Neuigkeiten auch ohne fb erfahren…wo sind wir sonst gelandet??

  2. Miri

    Jap, ich kann dir auch nur zustimmen, Lara. Kenne die Gedanken gut.
    Und ich bin sehr froh, dass ich scheinbar doch nicht alleine damit bin. ;)

  3. Nela Kayßer

    Ha, es geht mir ganz genauso! Ich frage mich, wo es hinführen soll, wenn es vielen Menschen nur noch darum geht, das neueste Tablet oder Smartphone zu haben, wie viel Megapixel die Kameras derselben haben und ob der Twitteraccount aktuell ist.

    Gibt es nicht wichtigere Themen, in die man seine Zeit und wichtigere Projekte, in die man sein Geld investieren kann?

    Schön, dass du in Worte gefasst hast, was mich schon lange bewegt.